Montag, 24. August 2015

SC Freiburg - Meine große Liebe (3)


Der Koch war Gott sei Dank SC-Fan

Um zu verstehen, wie meine große Liebe zum SC Freiburg entstanden ist, müssen wir gute zwei Jahrzehnte zurückschauen.

Es war die Saison 1993/94, als meine Leidenschaft für den Fußball zum Leben erweckt wurde. Ich war damals neun Jahre alt und lebte als gebürtiger Freiburger schon seit sieben Jahren im oberbayrischen „Exil“. Und so kam es dann auch, dass zu jener Zeit zwei Fußballherzen in meiner Brust schlugen. Da ich noch zu jung war, um die großen Zusammenhänge im Geschäft des Profifußballs zu überblicken, drückte ich zum einen – und ich schäme mich heute immer noch ein bisschen dafür – wie die meisten meiner Freunde dem großen FC Bayern die Daumen. Zum anderen war da noch dieser mir eher weniger bekannte kleine Club aus meiner Geburtsstadt, der gerade zum ersten Mal in seiner Geschichte in die erste Bundesliga aufgestiegen war.

Ich erinnere mich noch dunkel an Kommentare meines Vaters und meines Großvaters zu diesem Ereignis, konnte aber nur ansatzweise verstehen, was damals im Sommer 1993 in Freiburg Sensationelles passiert war. Jedenfalls kam es so, dass ich in jener Saison den Bayern und dem SC die Daumen drückte – den einen, dass sie bitte Deutscher Meister würden, und den anderen, dass sie die Klasse halten mögen.
Am Ende sollte es genau so kommen.

Dass es überhaupt soweit kam, hat entscheidend mit einem ganz speziellen Spiel, das ich niemals vergessen werde, und einem gewissen Thomas Helmer zu tun. Der schoss am 32. Spieltag gegen Nürnberg, damals (zum ersten von einigen weiteren Malen, die noch folgen sollten) Freiburgs direkter Konkurrent um den Klassenerhalt, sein berühmt-berüchtigtes Phantomtor, wodurch Bayern 2:1 gewann. Nürnberg legte Protest ein, verlor das Nachholspiel mit 0:5 (ich durfte das Spiel sogar im Fernsehen anschauen, da es auf einem der drei Kanäle, die wir damals per Zimmerantenne empfingen, übertragen wurde) und stieg am Ende aufgrund des schlechteren Torverhältnisses gegenüber dem SC ab. Bayern wurde deutscher Meister und der SC hielt dank einer unglaublichen Aufholjagd mit drei Siegen in den letzten drei Spielen die Klasse.
Meine erste aktiv verfolgte Bundesligasaison verlief ganz nach meinem Geschmack und mein Fußballherz lachte!

Dann kam der erste Gewissenskonflikt. Bayern war gerade nach einem 0:1 in Vestenbergsgreuth (jaja, ich hatte mir das Spiel bei einem Freund live angeschaut und wurde danach von dessen Vater, der kein Bayern-Fan war, tatsächlich ausgelacht. Im Nachhinein bin ich ihm dafür sehr dankbar!) aus dem DFB-Pokal ausgeschieden und es stand der zweite Spieltag der Saison 1994/95 vor der Tür. Leute, ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich an diesen Tag denke, so wie jetzt beim Schreiben gerade wieder.

Es war der 23. August 1994, wir hatten Sommerferien und waren zu Besuch bei meinen Großeltern in Freiburg, als der deutsche Meister beim kleinen SC Freiburg antrat, der mit Ach und Krach gerade seine erste Erstligasaison überstanden hatte. Ich sagte zu meinem Opa sowas wie „Ich weiß gar nicht, für wen ich heute Abend sein soll, weil ich ja den Bayern und dem SC die Daumen drücke.“ Und mein Opa antwortete: „Ha, jetzt bisch grad in Freiburg, da isch `s doch klar, dass du für de SC sein musch.“ Ich war einverstanden. Und mein Opa konnte nicht ahnen, was diese Worte bis heute für mich bedeuten.

Das Spiel sollte um 19:30 Uhr angepfiffen werden, und meine Eltern hatten für uns und meine Großeltern in der Wirtschaft "Zum Napf" im St. Wilhelmer Tal für 19:00 Uhr einen Tisch reserviert. Da half aller Protest nichts, wir fuhren von Freiburg nach St. Wilhelm zum Essen, während der SC gegen die Bayern antrat.

Zu meinem Glück war der Koch auch SC-Fan, und so kam es, dass er schon zehn Minuten nach Anpfiff aus der Küche in die Gaststube gestürmt kam und euphorisch in die Runde rief „Leute, ihr glaubet’s nicht, der SC führt gege die Bayern!“ Er sollte in den nächsten zehn Minuten noch zweimal aus seiner Küche herausgestürmt kommen, jedesmal noch aufgeregter mit noch röterem Kopf und einem Grinsen über beide Ohren. So um zehn vor acht: „Ihr werdet’s ned glaube, s isch unglaublich, 3:0 für de SC nach 20 Minute!“

Diese Gänsehaut, dieses Knistern in der Luft, und diese Sensation, die sich anbahnte und die ich so langsam anfing, zu begreifen… Und wieder bekomme ich Gänsehaut, heute, mehr als 20 Jahre später. Spätestens als wir in der zweiten Halbzeit von St. Wilhelm nach Freiburg zurückfuhren, über Ebnet und die Schwarzwaldstraße direkt am Stadion vorbei (damals gab es ja noch keinen Tunnel), wir die Autofenster runterließen, um etwas von der Atmosphäre aufzusaugen, und der SC just in jenem Moment das 5:1 schoss und das Stadion zum Beben brachte, war ich komplett verloren.

Seit exakt diesem Tag gehört mein Fußballherz einzig und allein dem SCF. Die Bayern konnten mir gestohlen bleiben, interessierten mich überhaupt nicht mehr. Im Gegenteil, ich begann sogar eine Abneigung zu entwickeln gegen diesen großen Verein mit dem vielen Geld. Wie konnte ich nur so blind sein? Wie konnte mir das nur nicht schon von Anfang an klar sein, dass ich unbedingt den SC, den Underdog, den kleinen Verein ohne großes Geld aus meiner Geburtsstadt unterstützen MUSS? Es gab überhaupt keine andere Möglichkeit.
Zwei Tore 1994 gegen die Bayern: Rodolfo Cardoso
Das Spiel endete dann 5:1 für den SC, der im Anschluss eine überragende Saison spielte und am Ende hinter Dortmund und Bremen sensationell Dritter wurde, vor den Bayern! Aus jener Saison stammt mein erstes Trikot, natürlich mit der Nummer von Cardoso, das mir damals bestimmt viel zu groß war. Ich trage es heute noch, modisch enganliegend.

So begann meine große Liebe zu unserem SC Freiburg. Seit jenem magischen Abend im August 1994 verfolge ich jedes Spiel, zitter mit, egal ob im Inland oder Ausland, in der ersten oder zweiten Liga, breche in ekstatische Jubelstürme aus, wenn der SC auswärts in Burghausen oder in Koblenz den Wiederaufstieg in die erste Liga perfekt macht, wenn Daniel Caligiuri in der Verlängerung den Einzug ins DFB-Pokal Halbfinale besiegelt, oder wenn Niiiiiiiils PETERSEN in der 89. Minute das 2:1 Siegtor gegen die Bayern schießt. Und ebenso fühle ich mich elend, wenn mein Kopf auf den Bartisch sackt, nachdem der SC gerade (zum sechsten Mal in dieser Saison) in der letzten Minute in Hamburg das 1:1 kassiert, oder vergieße bittere Tränen, sobald feststeht, dass tatsächlich alles zusammenkommt, was zusammenkommen musste, dass es dieses Jahr doch direkt in die zweite Liga geht. Und trotzdem kann mir den emotionalen Rausch nach dem Sieg gegen die Bayern keiner mehr nehmen, und meine Liebe zum SC wird auch durch diesen Abstieg nicht erschüttert. Ganz im Gegenteil!
(Flori, Freiburg)

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