Montag, 17. August 2015

Abstieg - Der letzte Spieltag



34. Spieltag, Saison 2014/15 – Samstag, 23.05.2015
Hannover 96 – SC Freiburg         2:1 (1:0)
Bürki – Mujdza, Krmas, Mitrovic, Günter – Darida (83. Frantz), Höfler – Schmid, Klaus (68. Petersen) – Mehmedi, Guédé (76. Philipp)

1:0 Kiyotake (3.), 2:0 Krmas (Eigentor, 84.), 2:1 Petersen (90.+2)

„Wenn nur noch Paderborn dich retten kann, dann kann dich nichts mehr retten“

Der Plan steht seit Monaten: Mit alten Kollegen, die jobbedingt mittlerweile in alle Winde der Republik verstreut sind, wollen wir uns wieder in der Kneipe treffen, in der wir früher bei 28 Colaweizen pro Spiel Vitali Rodionov und Alex Walke beim Kicken zugesehen haben. Wollen gemeinsam sehen, wie unser Herzensclub mal wieder den Kopf aus der Schlinge zieht und die Klasse hält. Die Sonne lacht, Grillfleisch und Korn und Sprite sind eingekauft und warten im sicheren Schoße des Kühlschranks auf ihre Bestimmung. Das Programm für die After-Show-Party steht, wir haben uns ewig nicht mehr alle zusammen getroffen und so eine Klassenerhaltsfeier kommt ja maximal einmal pro Jahr. Einer hat eine Wohnung mit Balkon in Gehweite zur Tränke und weit werden wir nach dem Klassenerhalt eh nicht mehr gehen können.

Alles ist angerichtet, eingedeckt mit zwei Päckchen Lunten mache ich mich auf den einstündigen Fußmarsch zur Kneipe. Als ich ankomme, sind alle schon da. Es ist als wäre die Zeit stehen geblieben, als wäre wieder 2009. Rodionov heißt jetzt Petersen und hat seinen Stammplatz verloren, der Altherrenwitz feiert eine Renaissance, es ist noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff. Wir sind alle nervös und doch zuversichtlich, weil wir das Gefühl haben, zuversichtlich sein zu müssen und überhaupt: Schalke muss ja jetzt was zeigen nach der Sache gegen Paderboring.

Als das dritte Bier kommt, hat das 96-Kopfballmonster Kiyotake schon einen reingenickt, was soll's, ist noch lange hin, sieht immer noch gut aus alles, Vrancic, dieser Teufelskerl hat ihn reingehauen, zwei Tore schießt der VfB eh nicht mehr, die müssen jetzt aufmachen. Dann nichts, nur Bier. Warten. Auf das nächste Bier, auf Petersen, auf Huntelaar. Bis auf das Bier kommt nichts. Der HSV führt, die Schlümpfe schenken wieder ab, der VfB macht den Ausgleich, Krmas lümmelt einen mit dem Schienbein ins eigene Netz, das alles könnte besser laufen. Wir alle wissen: Nur noch Paderborn kann uns retten und wenn nur nach Paderborn dich retten kann, dann kann dich nichts mehr retten.

Irgendwann viel später, in einer Zeit nach Abstieg, Rajkovic, Ginczek und Fassungslosigkeit sitzen wir rauchend bei Gin&Tonic in der Dämmerung und fragen uns, wie es so kommen konnte. Wir sind Männer oder wenigstens große Jungs und Männer oder wenigstens große Jungs reden nicht über Abstiege. Oder Gefühle. Die Sonne scheint zwar so oder so, aber 2 Uhr nachts - so spät ist es mittlerweile anscheinend geworden - dann doch nicht mehr.
Wie haben wir die letzten Stunden verbracht? Worüber haben wir geredet? Frauen, unsere Familien? Haben wir denn überhaupt welche? Keiner weiß es in diesem Moment, aber leere Wacholderschnapsflaschen indizieren, das wir da gewesen sein müssen.

Irgendwann holt einer einen Würfelbecher und wir spielen halt Kniffel, weil das ein gutes Spiel für 3,3 Promille und eh schon alles egal ist. Einer sagt nach einem Viererpasch abwesend: "Sandhausen? Fuck!" Wir bitten ihn höflich, die Klappe zu halten.

Sicher ist sicher, lieber noch mal nachschauen gehen, doch auch Seite 253 des ARD-Texts bestätigt noch einmal, woran wir so gerne noch einmal gezweifelt hätten. Jemand findet noch eine Flasche Tequilla und eine Praline-Ausgabe von 2001, in der uns Titelgirl Mandy zu Sex im Freien rät. Jetzt nicht, denken wir. Irgendwann ist auch die letzte Flasche Waldhaus leer, es dämmert und die Vögelchen singen schon. Ich klopfe auf den Tisch, ich muss noch vier Kilometer nach Hause wanken. Ein Taxi hier ist wie ein gewonnener Schuster-Zweikampf woanders, also in erster Linie sehr selten.

Am 24. Juli beginnt schon die neue Saison, denke ich, während ich einen Fuß aus dem heimischen Bett zu Boden wandern lasse, um die wacholderbeswingte Karussellfahrt zu unterbrechen. Doch es nützt nichts, nichts nützt momentan etwas. Sandhausen. Leck mich doch.
(Julian, 29, Freiburg)

„Wenn jetzt kein Wunder geschieht, war’s das“

Es ist Samstag, der 23. Mai 2015; ein sonniger Tag im beschaulichen Breisgau. Mit einem guten Gefühl verlasse ich das Haus, um mit Freunden zusammen das entscheidende Spiel gegen Hannover 96 anzuschauen. Schließlich will man selbst als leidgeprüfter SC-Fan solche wichtigen Spiele nicht alleine sehen. Nachdem unsere Gruppe an mehreren Lokalitäten vergeblich versucht hat, einen Platz zu bekommen, sind wir letzten Endes in einer kleinen Kneipe fündig geworden. Und wohl auch nur, weil diese gerade erst geöffnet hat.

Als die Kneipe gut gefüllt ist und es auf 15:30 Uhr zugeht, sind sich (fast) alle einig, endlich von der Konferenz direkt auf das Spiel in Hannover zu schalten. Die Aufstellung wird eingeblendet und mir macht sie Hoffnung. Schließlich hat die gleiche Elf am vergangenen Spieltag den amtierenden Deutschen Meister nach einem 0:1-Rückstand noch mit 2:1 besiegt. Da muss es doch für ein Unentschieden in Hannover reichen, das uns den Verbleib sichert; egal wie die Konkurrenz spielt! Einer aus der Gruppe fragt noch für sein Managerspiel: „Schmid oder Kagawa aufstellen?“ und erhält den Tipp: „Schmid. Kagawa reißt nichts gegen Werder“.

Dann ist es endlich 15:30 Uhr. Anpfiff! Und es dauert nur 3 Minuten, bis sich das erste Mal leichtes Entsetzen in den Gesichtern aller Anwesenden ausbreitet. Der nur 1,72 m große Kiyotake trifft per Kopf zum 1:0 für Hannover. Aber da auf den anderen Plätzen die Ergebnisse noch für uns sprechen, entspanne ich mich recht schnell wieder. Sind ja auch noch 87 Minuten zu spielen. Gleichzeitig geht Paderborn mit 1:0 gegen den direkten Konkurrenten Stuttgart in Führung. Alles im grünen Bereich. In der 15. Minute trifft Kagawa für Dortmund. Freude und leichte Verwunderung. Kagawa trifft?! Zwei Minuten später wieder Kagawa, diesmal aber als Vorlagengeber für Aubameyang. Kopfschüttelndes Grinsen. Soviel zum heißen Tipp. Und im ebenfalls akut abstiegsbedrohten Hamburg? Noch 0:0. Immer noch alles gut für uns. Es kommt die 36. Minute und da ist er; der Ausgleich in Stuttgart. Das ist der Moment, in dem mir etwas flau im Magen wird.

Dann ist erst mal Halbzeit. Okay, erst mal durchatmen. Eigentlich gar nicht so verkehrt, was die Jungs da machen. Das wird noch. Ist ja auch nur ein Tor zum rettenden Punkt. Doch kurz nachdem die 2. Hälfte beginnt, wird mir wieder schlagartig übel. Hamburg schießt das 1:0 gegen Schalke. Und als der Ticker in der 58. Minute wieder klingelt, bin ich mir sicher, dass Schalke es mal wieder vergeigt. Es steht 2:0 für Hamburg. Als wären meine Nerven nicht schon strapaziert genug, verkündet der Kommentator das 1:2 für Stuttgart. Okay. Also müssen wir doch selbst ran. Auf die Konkurrenz ist aber auch kein Verlass!

Es ist 17:09 Uhr, als Briand den Ball gefährlich auf unser Tor bringt. Bürki hält mit einer super Parade. Krmas ist da zum Absichern. Und plötzlich jubeln die Hannoveraner. Die versammelten Fans schauen fassungslos auf die Bildschirme. Was war denn das? Die Wiederholung abwarten. Eigentor! Langsam begreife ich: Gott ist heute absolut kein Freiburger und wenn jetzt kein Wunder geschieht, war’s das. Streich reagiert und bringt Nils Petersen (unser Petersen, der weniger Minuten pro Tor benötigt als Lionel Messi!), der mal wieder seine Qualität zeigt und noch den Anschlusstreffer macht. Doch kurz danach ist Schluss. Der Super-GAU ist passiert. Stuttgart gewinnt in Paderborn. Hamburg besiegt zu Hause Schalke. Wir verlieren in Hannover. Damit ist Stuttgart gerettet. Hamburg darf in die Relegation. Und wir? Ja, wir sind direkt abgestiegen. Genauso falsch wie der Tipp, Schmid anstatt Kagawa im Managerspiel aufzustellen, war meine Einschätzung, dass wir den rettenden Punkt in Hannover holen und damit die Liga halten.

Betroffen bahnen wir uns unseren Weg aus der immer noch fassungslos auf die Bildschirme stierenden Menge in der Kneipe. Und immer wieder die gleichen Gedanken. Abgestiegen. Direkt abgestiegen. Noch nicht mal Relegation! Uns werden die besten Spieler verlassen. Wir bekommen weniger Fernsehgelder. Der Spieleretat wird gekürzt. Doch was bedeutet so ein Abstieg für einen Verein wie den SC Freiburg wirklich? Christian Streich hat es in der Pressekonferenz nach dem Spiel sehr treffend zusammengefasst: „Ein kleiner Verein, aber ein großer in seinem Wesen. Und der Verein wird das überstehen. Wir werden wieder zurückkommen und werden versuchen, so Fußball zu spielen, dass die Leute Freude haben in Freiburg.“ Übersetzt heißt das so viel wie: macht euch keine Sorgen. Wir sind für die 2. Liga gerüstet. Alles in Ordnung.

Und was ändert der Abstieg für uns Fans? Liest man auf diversen Sozial-Media-Seiten hat man direkt das Gefühl: eigentlich nichts. Gut, die Dauerkarte wird günstiger. Wir spielen vor 13.000 Leuten in Heidenheim, anstatt vor über 80.000 in Dortmund. Und wir kommen montags öfter betrunken von den Spitzenspielen nach Hause statt samstags. Doch egal in welcher Liga, egal welche Spieler kommen und gehen: für uns ist und bleibt der Sport-Club DER Verein. Denn das, wofür er steht, ist so viel mehr als eine Ligazugehörigkeit. Wir sind noch einer der wenigen Beispiele, in der Mannschaft, Trainerteam, Vereinsverantwortliche und Fans eine geschlossene Einheit bilden. Genau das ist es, was uns ausmacht.

Und nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe und Sankt Pauli trotz einer 0:1-Niederlage gegen Darmstadt die Klasse hält, freue ich mich schon auf die Auswärtsfahrt zur Reeperbahn.
(Verena, 25, Emmendingen)

„Petersen kam, Petersen schoss ein Tor, Petersen stieg auch ab“

Eigentlich beginnt der Abstiegssamstag 7 Tage zuvor. Wir hatten gerade Bayern geschlagen und die anderen Abstiegskonkurrenten hatten für den SC gute Ergebnisse eingefahren. Nur hätte ich es lieber gesehen, dass Hannover gegen Augsburg verloren oder nach dem Sieg den Klassenerhalt bereits geschafft hätte. So mussten wir nur noch ein Unentschieden gegen die Niedersachsen schaffen. Genau darin lag das Problem, welches mir Unbehagen bereitete. Klar, mit einer Leistung des SC wie in Hamburg, sollte in Hannover ein Punkt drin sein. Doch konnte ich nicht über den Schatten meines Gefühls springen und sah für das letzte Spiel schwarz. Wir hatten so viel Pech in der Saison. Auch wenn wir gut spielten, fuhren wir keine Siege ein und wenn wir mal effektiv ein Spiel gestalteten, so wie gegen Bayern, war höchst selten ein Dreier drin. Sollten wir etwa eine gute Leistung bei den 96ern zeigen oder bei mäßigem Spiel trotzdem das Glück auf unserer Seite haben? Ich konnte nicht dran glauben.

In der Winterpause war für mich der Abstieg klar. Ok, wir standen 12 Monate zuvor nicht unbedingt besser in der Tabelle da, doch sah ich in der Saison zuvor, selbst in der der Winterpause, eine Hoffnung. Ich war mir damals sicher, dass Freiburg sein Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft hatte und dieses zeigten sie dann in der Rückrunde und meisterten die 1. Liga. In der abgelaufenen Saison sah ich dieses Potenzial nicht. Dazu kam das ungeheure Pech. Wie auch immer, ich sah kein Licht am Ende des Tunnels – ist aber auch immer Ansichtssache – und so war ich vom Abstieg überzeugt.

Trotzdem fuhr ich am 23.05.2015 nach Hannover. Klar, gehofft hatte ich immer und trotz meines Gefühls bin ich mit Leib und Seele SC-Fan und hoffte einfach an diesem Tag, dass mein Bauch mir einen Streich gespielt hätte. Welch ein Wortspiel…
Die Nacht vor dem Krimi in Niedersachsen schlief ich gar nicht. Erstens hatte ich Nachtschicht und arbeitete nur 3 Stunden, bis 1:00 Uhr, und zweitens hätte ich bei einer normalen Bettgehzeit sowieso nicht schlafen können. Da ich aus Bielefeld komme, war meine Fahrzeit nur ca. 90 Minuten. Ok, ich machte noch einen Stopp kurz vor Hannover bei McDonald‘s. Ich bin eigentlich nur noch sehr selten dort, aber an dem Morgen musste ich hin, meine Nerven brauchten diese Chicken McNuggets. Am Stadion traf ich dann auf einen Freund, der natürlich ebenso nervös war. Obwohl ich mit dem PKW da war, trank ich vor dem Spiel ein Bier, es war ja erst 13:00 Uhr. Eines war drin, danach hätte es sowieso nur noch Cola gegeben, egal wie der Spieltag auch endet. An der Bierbude stand man dann schnell mit anderen SC-Fans zusammen und es kamen die üblichen Fachsimpeleien auf den Stehtisch. Als so einige von 2:0 und 3:1-Ergebnissen sprachen, natürlich für unseren SC, gab ich meinem Bauchgefühl freien Lauf und erwähnte, dass wir absteigen und das Spiel verlieren würden. Wow, dachte ich, niemand zog es in Betracht, dass der SC absteigen könnte. In den letzten 6 Jahren Erstligazugehörigkeit hatte ich noch nie so ein pessimistisches Gefühl und nur wegen des Windes in Niedersachsen wollte ich die Fahne nicht drehen.

Als wir oben bei Block 18 waren, wurde meine Nervosität stärker. Sobald ich die Spielwiese sah, schlug mein Herz schneller – wie immer. Ich dachte mir, heute muss es klappen. Dreimal zuvor war ich bei einem Spiel des SC in Hannover. Zweimal verloren und einmal Unentschieden. Daher wollte ich an diesem Tag kein Trikot anziehen, das musste doch so klappen. Stattdessen trug ich halt ein einfaches T-Shirt des SC. Irre, aber ich bin so abergläubisch.
Kurz vor Spielbeginn war der Block rappelvoll und auch die angereisten Fastalkoholleichen schwankten vor mir herum. Ok, die Busfahrt aus Südbaden muss nicht trocken sein, aber es ist schon peinlich und unverantwortlich, dass Jugendliche zwischen 14 und 16 - auf dieses Alter schätzte ich diese Jungs vor mir - so fertig waren. Na ja, vor diesen gewissen Fans war ein Wellenbrecher und hinter diesem stand ich, also alles gut.

Anpfiff, so dachte ich, jetzt ein schnelles Tor und ich könnte meinen Puls runterfahren. Gerade gedacht und schon klingelte es im Kasten. Nur stand der Kasten auf der falschen Seite. Ich wusste es, dachte ich mir und sagte es gleich meinem Kollegen neben mir, dessen Augen immer größer wurden. Das Pech blieb uns hold - wenn man da von Pech sprechen konnte. Ich war nur froh, dass der Kollege vor mir, der sich immer mehr krampfhaft am Wellenbrecher festklammerte, nicht seinen Bierbecher vor Wut in die Luft warf. Ganz so besoffen konnte er doch noch nicht sein. Da sah ich, wie er mit dem Mittelfinger Richtung Hannover-Fans deutete. Ach ja, warum lässt Mama ihren Sohn nur in die weite fremde Welt ziehen, fragte ich mich. Aber der Becher war noch voll, gut für mich. Über die erste Halbzeit muss man nicht viel schreiben. Mäßiges Spiel des SC und Hannover konnte den Sicherheitsriegel vorschieben. Die anderen Ergebnisse passten ja auch noch für unseren SC, also noch kein Grund zum Verzweifeln. Außerdem holten die Biertester vor mir gerade eine Bratwurst mit Senf, da hatte ich andere Sorgen, als mich um den SC zu kümmern. Bevor ich mir auch mit meinem Kumpel Gedanken über die zweite Halbzeit machte, hoffte ich eher, dass der schwankende Teenager vor mir nicht bald rückwärts isst. Passend vor dem Anpfiff der zweiten Halbzeit verschwand dieser. So, dachte ich, nun mal ohne Körperkontakt von vorn das Spiel verfolgen. Lange konnte es ja nicht dauern, bis er seine Blase geleert und Alkoholnachschub bekommen hätte. War mir mittlerweile auch egal, da der SC richtig viel Dampf auf dem Rasen machte.

Nach 55 Minuten war mir klar: jetzt muss Petersen rein. Freiburg machte richtig Druck, doch zwingende Torchancen waren nicht dabei. Ein Freund des noch immer abtrünnigen Teenagers stimmte mir zu. Obwohl er auch ein paar Bier intus hatte, war die Verständigung mit ihm richtig gut. Dieses ahnte ich aber zuvor schon, da er sich an der Mittelfingeraktion nicht beteiligt hatte. Mann, der muss Petersen bringen, wer soll sonst die Tore machen? Mein Puls stieg. Meinen Kumpel neben mir hielt es nicht mehr auf dem Stehplatz und wollte auch erst einmal Bier wegbringen. Seine Nerven waren ebenso angespannt, er ist auch mit Leib und Seele SC-Fan. Einer ging, einer kam, der schwankende Freund vor mir schaukelte sich durch die Menge und, zu meinem Erstaunen, ohne Bierbecher. An seinem Platz hielt er sich auch gleich mit beiden Händen am Wellenbrecher fest und streckte mir seinen Hintern entgegen. Hoffentlich kotzt der jetzt nicht, dachte ich.
Ein Schritt zur Seite und schon konnte ich etwas sicherer den nächsten Angriff des SC verfolgen. Mittlerweile stand es in Paderborn und Hamburg schlecht für uns und als das 2:0 für Hannover kam, ging mein Puls runter. Das war es, dachte ich und sah die Situation plötzlich viel entspannter. Dass erst am nächsten Tag die Traurigkeit kam, ahnte ich noch nicht. Na ja, Petersen kam, Petersen schoss ein Tor, Petersen stieg auch ab. Schluss und vorbei. Mein T-Shirt hatte auch nicht geholfen und mein Bauchgefühl hatte sich bewahrheitet. Scheiße! Ob mein besoffener Teenager all das noch realisierte weiß ich nicht, aber er grüßte mit seinem Mittelfinger wieder Richtung Hannover-Fans. Er muss wohl registriert haben, dass es nicht gut für seinen Verein gelaufen war. Wir blieben noch ca. 20 Minuten nach Abpfiff im Stadion. Einige Spieler kamen noch mal in die Nähe des Gästeblocks und mir tat es für Pavel so leid. Für mich wird er immer in Erinnerung bleiben, er war für mich ein Vorzeigefußballer.

Unten am Stadion lamentierten wir natürlich über 34 Spieltage, die nun hinter uns lagen. Wir gingen Richtung Parkplatz und blieben gleich an der ersten Bierbude stehen. Mist, dachte ich, ich darf ja nicht. So trank nur mein Kumpel ein Bier und ich begnügte mich mit einer Cola. Um uns herum lauter Fans von Hannover, die es nicht fassen konnten, dass der SCF abgestiegen sei. Auf dem Weg nach Hause gingen mir immer Szenen durch den Kopf, in denen der SCF in den vergangenen 33 Spieltagen diesen so wichtigen Punkt hätte holen können. In den folgenden Tagen beruhigte sich die Gefühlslage immer mehr, obwohl ich am Tag nach dem Abstieg schon sehr betroffen und traurig war. Aber es geht wieder aufwärts mit dem SC Freiburg, davon bin ich überzeugt und wenn ich das schon optimistisch sehe, was soll da noch schief laufen?
Ich dachte an tolle Zweitligaspiele 2005, 2006, 2007, 2008 und sah plötzlich auch wieder das Licht am Ende des Tunnels. Wir sind abgestiegen, ja, aber es ist nur Fußball. Der SC Freiburg ist ein toller Verein, auch wenn ich mich über so Fans mit Mittelfinger, die es unter allen Fans gibt, ärgere. Ich freue mich über die sympathischen Aufmunterungen, ob im Forum von Fans anderer Vereine oder von den Leuten um mich herum. Der SC hatte viel Pech in der Saison, es wurden Fehler gemacht und ab und zu ein Tröpfchen Glück verschüttet.

Aber der SC hat die richtige Vereinsphilosophie und eine gute Basis. Der SC ist nach dem Abstieg 2014/15 noch mehr eine Herzenssache für mich. Er ist niemals so wichtig wie meine tolle Familie – aber doch bin ich nun mehr und mehr stolz, auch hier in Nordrhein-Westfalen zu sagen: Ich bin Freiburg-Fan!
(Bernd, 42, Bielefeld)

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